Die heutigen Rahmenbedingungen von Unternehmen sind von einem starken und stetigen Wandel geprägt. Insbesondere Faktoren wie die Digitalisierung, Globalisierung, Deregulierung, Kostendruck werden als die maßgeblichen Treiber der Veränderung identifiziert. Aus diesem Grund werden die sich schnell ändernden Rahmenbedingungen oft auch mit dem Akronym VUCA beschrieben (siehe Blog vom 03.10.2019).
Kann Change Management bei stetigem Wandel helfen?
Die mit VUCA beschriebenen Rahmenbedingungen bedeuten für Unternehmen, dass sie über besonders agile Change Management-Kompetenzen verfügen müssen um erfolgreich den Wandel gestalten zu können. Die bekannten Change Management-Modelle erscheinen in Anbetracht der Veränderungsdynamik überholt. Können sie überhaupt noch Anwendung finden?
Grundsätzlich gibt es nicht das Change Management-Modell als Ultima Ratio.
Die verschiedenen Change Management-Modelle versuchen für Veränderungsprozesse eine Art Blaupause zu liefern. Das ist im Grunde auch hilfreich um einen Überblick zu behalten und den Veränderungsprozess begreifbar zu machen. Es gibt jedoch keinen Change Management-Prozess, der in jedem Unternehmen gleich verläuft. Jeder Wandel unterliegt Einflüssen, die individuell zu berücksichtigen sind. Beispiele dafür sind die Größe des Unternehmens, branchenspezifische Begebenheiten, die Unternehmenskultur etc.
Zum besseren Verständnis werden die zwei bekanntesten Modelle bzgl. ihrer Aktualität kurz dargestellt:
Das 3-Phasen-Modell von Lewin
Das 3 – Phasen – Modell von Lewin ist ein recht einfaches Modell, was ursprünglich nicht auf dynamische Veränderungsprozesse in Unternehmen ausgerichtet war. Dieses sog. „Model of change“ ließ sich jedoch in der Vergangenheit auch gut auf Veränderungs-Prozesse in Unternehmen anwenden, da die Kräfte der Veränderung nicht allzu massiv waren. Darüber hinaus hilft es Veränderungsprozesse abstrakt darzustellen.
Das klassische „Model of Change“ von Lewin ist in der dynamischen VUCA-Welt von heute jedoch kaum anwendbar. Zum einen wird die Unterteilung des Veränderungs-Prozesses in drei Phasen nicht den zu berücksichtigenden inneren Faktoren eines Unternehmens gerecht. Es würdigt bspw. diese maßgeblich für den Erfolg wichtigen Aspekte wie Subkulturen, die Unternehmenskultur etc. einer Unternehmung nicht. Zum anderen haben sich Veränderungs-Prozesse dahingehend verändert, dass (entgegen der dritten Phase des „Models of Change“ von Lewin) ein erreichter Veränderungszustand nicht „eingefroren“ werden darf. Starre Aggregatszustände widersprechen der agilen und flexiblen Unternehmensführung, die das Continuous Change Management fokussiert.
Das 8-Phasen-Modell nach Kotter
Das Modell von Kotter ist eines der Modelle, welches mit am häufigsten in der Change Management-Literatur genannt wird. Es ist außerdem viel jünger als das Modell von Lewin, wurde für Unternehmen entwickelt und findet aufgrund seiner Aktualität oft Anwendung in der Unternehmenspraxis.
Kotter postuliert in seinem Werk „Leading Change“, dass über die Hälfte aller Veränderungs-Prozesse noch in frühen Stadien scheitern. Kotter widmet sich in den acht Phasen seines Modells insbesondere der Einbindung der Mitarbeiter aller Hierarchieebenen und räumt der Unternehmenskultur sowie den Emotionen und den internen Kräfteverhältnissen einer Unternehmung im Kontext der Veränderung besondere Bedeutung ein.
Kotter hat im Laufe der letzten Jahre selbst erkannt, dass auch sein Change Management-Modell auf die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Aus diesem Grund novellierte er die einzelnen Phasen seines Systems, in dem er es um sog. Beschleuniger ergänzte, ein flexibles internen Unternehmensnetzwerk als besonders hilfreich identifizierte und das teilweise parallele Durchlaufen der einzelnen Phasen in besonders agilen Organisationen als erforderlich darstellte.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass grundsätzlich eine Vielzahl von Veränderungsmodellen existiert, wobei die beiden genannten von Lewin und Kotter zu den in der Literatur am häufigsten genannten zählen.
Alle bekannten Modelle sind in sich ähnlich aufgebaut und unterscheiden sich dahingehend, dass sie die einzelnen Phasen unterschiedlich gewichten und die einzelnen Phasen, die den Meilensteinen eines Projektablaufs gleich kommen, teilweise ausführlicher darstellen.
Um die Ähnlichkeiten hervorzuheben, sind in der folgenden Abbildung die Modelle von Kotter und Lewin übereinander dargestellt.
Auch wenn das aktuelle Change-Management-Modell von Kotter viele brauchbare Anwendungswerkzeuge liefert, verfügt es über die gleiche Schwäche, die auch bei allen bekannten Change-Management-Modellen vorzufinden ist: Alle Modelle sind primär darauf ausgerichtet, den neu erreichten Zustand „einzufrieren“ („freezing“ bei Kurt Lewin) bzw. in die neue Kultur zu verankern. Erforderlich ist jedoch, dass sich nur der Gedanke in der Unternehmenskultur verankert, dass Veränderungen immer erforderlich sind. Effiziente Unternehmen müssen aufgrund des dynamischen Umfelds über anpassungsfähige Strukturen verfügen, die ein flexibles Reaktionsverhalten bedingen.
Continuous Change Management: Veränderung ist die Konstante
Aufgrund der zunehmenden Veränderungsdynamik dürfen Unternehmen nicht in einem Status Quo als Ergebnis eines Veränderungsprozesses verharren, sondern müssen ständig selbstkritisch ihre Geschäftsmodelle hinterfragen um agil Veränderungen vorantreiben zu können. Continuous Change Management unterscheidet sich von herkömmlichen Modellen dahingehend, dass die Veränderung keine Reaktion auf einen Input ist, sondern das vorausschauende und proaktive Reagieren. Deshalb erfolgt in jeder Phase die selbstkritische Reflexion, ob der begonnene Veränderungsprozess noch mit den Erfordernissen übereinstimmt, die aus den ständig ändernden Rahmenbedingungen resultieren. Insbesondere in der letzten Phase des Veränderungs-Prozesses, in der in den bislang bekannten Change Management-Modellen stets eine Verankerung des erreichten Zustandes vorgesehen ist, muss sich bereits wieder mit dem nächsten Veränderungs-Prozess auseinandergesetzt werden.
Im Hauptfokus des als Projekt angelegten Veränderungs-Prozesses stehen die Menschen, die Methoden und die einzelnen Projektmeilensteine.
Autor: Dr. Bernhard Baumann